Schokolade

Eine wahre Geschichte

Der wichtigste Schokoladenpionier der Schweiz wurde nach seinem Tod schamlos durch den Kakao gezogen. Nun holt sich Bern das verlorene Kulturgut zurück.
CHOCOBERN'S

Gegendarstellung

Wie ein kulinarisches Kulturgut zu Unrecht vom Sockel verdrängt wurde.
Schweizer Schokolade wird allgemein mit der Milchschokolade in Verbindung gebracht. Aus technischer Sicht handelt es sich um eine Schmelzschokolade. Die Schmelzeigenschaft von Schokoladen ist auf die Errungenschaft von R. Lindt zurückzuführen. In der Fachliteratur wird seinem Veredelungsverfahren noch heute eine zentrale Rolle beigemessen:

«Das Conchieren ist einer der bedeutendsten Schritte in der Schokoladenherstellung. Hierbei werden Wasser und unerwünschte Aromastoffe ausgetrieben und die Textur der Schokoladenmasse ausgebildet (Experiment- und modellbasierte Unterstützung des Conchierens dunkler Schokoladen, Fraunhofer IVV)».


2007 ging als Revolutionsjahr in die Geschichte der Mobiltelefonie ein. Auf dem bestehenden Markt war das Iphone ein vollkommen neues Produkt. In ähnlicher Form revolutionierte die Berner Schmelzschokolade den Schokoladenmarkt von anno 1879. Nur wenige Städte haben die Entwicklung eines globalen Genussmittels derart stark geprägt wie Bern. An einer Hausfassade im Mattequartier stand einst sogar geschrieben:

«Chocolade – die berühmte Berner Spezialität».


Doch wie diese stolzen Worte sind in der Geburtsstadt der modernen Schokolade auch die Erinnerungen an diese Schweizer Genussgeschichte verblasst. Wenn man bedenkt, dass R. Lindt in Bern auf die Welt kam und später zum wichtigsten Schokoladenpionier der Schweiz wurde, ist dieser Erinnerungsverlust umso aussergewöhnlicher. Wie konnte seine Geschichte ausgerechnet in der Bundesstadt eines Schokoladenlandes vergessen gehen?

Der vorliegende Text versucht dieser Frage nachzugehen und richtet sich an «Bären» und «Bärinnen», aber auch an Genussmenschen ausserhalb von Bern. Bei der Suche nach Antworten stolpert man zwangsläufig über die bekannteste Biografie von R. Lindt, welche in «Patriarchen» zu finden ist. In diesem Buch beginnt seine Geschichte wie folgt:

«Er war ein Dandy, ein hübscher und verwöhnter Sohn vornehmer Burger und alles andere als ein Kaufmann oder Techniker».


Diese Beschreibung wirkt auf den ersten Blick harmlos, weil sie leicht ironisch formuliert ist. Dieses Muster zieht sich durch den gesamten Text. Auf diese Weise entsteht das Portrait eines «verurteilten» Schokoladenfabrikanten, welcher eher ein «Faulpelz» und deshalb nur mit «Anfängerglück» erfolgreich gewesen sein soll. Die Textpassage über die Trennung zeigt beispielhaft, wie die Berner Seite zum Sündenbock gemacht wird. Sie ist daher das Paradebeispiel aus dem Buch, welches auf Seite 28 in vier Schritten erläutert wird. Es sind jedoch Gerichtsurteile vorhanden, in welchen der Sachverhalt völlig anders dargelegt wird. Diese objektive Grundlage ermöglicht, eine inhaltliche Prüfung der Biografie. Die Diskrepanzen weisen dabei auf verschiedene Unwahrheiten im Buch hin.

Auf der Spurensuche stösst man zudem auf eine Legende, welche auf einer krassen Fehlannahme beruht. Es ist nämlich ein Trugschluss, dass die Mühle von R. Lindt bereits weitgehend automatisiert gewesen sei. Tatsächlich war die Produktion der Berner Schmelzschokolade noch stark handwerklich geprägt. Nach der Textanalyse wird sich die Legende ausserdem als verfängliches Kommunikationsinstrument entpuppen. Durch die Hintergrundinformationen über den Streit und zwei Todesfälle verliert die vermeintlich harmlose Legende allerdings rasch an Harmlosigkeit. Das Adjektiv «zartbitter» bezieht sich auf Dunkle Schokolade, die im Deutschen Sprachraum auch Zartbitterschokolade genannt wird.

Aufgrund der Quellenprüfung muss überdies auch die Objektivität infrage gestellt werden. Der Text in «Patriarchen» erhält dadurch eine eher fragwürdige Duftnote. Da der Autor auch Historiker ist und die weiteren Wirtschaftsbiografien im Buch sachorientiert daherkommen, wird sein Text häufig in den Medien zitiert. So konnte sich die süffige Legende eines Zufallswochenendes zur wohl bekanntesten Abwertung von R. Lindt mausern.

Es ist also höchste Eisenbahn, um eine teils unwahre zu einer wahren Geschichte zu transformieren. Für die Richtigstellung können die fehlenden Informationen zwischen den Zeilen mit verschiedenen Fundstücken aus meiner Recherche ergänzt werden. Das wichtigste Dementi folgt aber gleich zu Beginn: Es gab keine Verurteilung von R. Lindt. Wer sich zudem an den Fakten orientieren möchte, sollte die Legende nicht weiterverbreiten. Es gibt verschiedene ungerechte Schokoladenthemen. Diese Arbeit belichtet eine dunkle Schokoladenseite der Schweizer Geschichte und kann aufzeigen, dass dieses kulinarische Kulturgut zu Unrecht durch den Kakao gezogen wurde. Damit versuche ich einen Beitrag zur Rehabilitierung von R. Lindt zu leisten.

Die «ursprüngliche» Essschokolade wird nachfolgend Ur-Schokolade genannt. Wenn vom Berner Verfahren gesprochen wird, ist damit das Schmelzschokoladenverfahren gemeint. Am Ende des Abschnittes über die Folgen begründe ich diese Wortwahl.
Gegendarstellung

Struktur

Die Geschichte in «Patriarchen» lässt sich in die Zeit vor und nach dem Unternehmensverkauf nach Zürich unterteilen. Im Mittelpunkt des ersten Teils steht die «Legende». Während der zweite Teil vom «Streit» geprägt wird. Daher befasst sich meine Analyse zuerst mit der Legende, welche sich in «Zufall» und «Wochenende» gliedern lässt. Der Streit lässt sich wiederrum in die Zeit nach der «Verschmelzung» bis zur Trennung und den «Zivilprozessen» mit den Todesfällen unterteilen. Die Beurteilung der Differenzen zwischen der Berner und Zürcher Seite erfordert eine Situationsanalyse. Nur so wird ein Interessenkonflikt sichtbar, welcher am Ursprung des Streites gelegen haben könnte. Danach ziehe ich die Urteile von 1909 und 1927 bei, um auch die juristische Auseinandersetzung analysieren zu können. Auf diese Weise lassen sich weitere Abwertungen als unwahre Behauptungen identifizieren. Da die «Quellenprüfung» auf subjektive Texte stösst, kann die negative Darstellung mit der fehlenden Objektivität des Buches erklärt werden. Mithilfe des Lindt-Paradoxes versuche ich mögliche «Folgen» der Abwertungen herzuleiten. Die «Erkenntnisse» im Schlussfazit machen für mich eine «Würdigung» unerlässlich. Die Lektüre kann auch mit dem Schlussfazit begonnen werden.
Gegendarstellung

Methodik

Ein Ist-Soll-Vergleich steht in der Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Controlling. Da es sich im konkreten Fall um eine Wirtschaftsbiografie handelt, wird für meine Analyse auf dieselbe Methode zurückgegriffen. Die Zitate aus der 6. Auflage von «Patriarchen» (2019) sind dabei als IST-Zustand definiert. Der SOLL-Zustand orientiert sich an den Fakten und ist als Gegendarstellung zum Narrativ des Buches zu verstehen. Die IST-SOLL-Abweichung versuche ich mit einem Kommentar zu erklären. Im ersten Teil können die Abweichungen umfangreicher erklärt werden. Aufgrund der Brisanz sind meine Erklärungen im zweiten Teil hingegen etwas kürzer gehalten. Um eine ganzheitliche Beurteilung vornehmen zu können, müssen auch die Quellentexte berücksichtigt werden. Die Gesamtauswertung des Buches ist daher im Kapitel über die Quellen unter «Patriarchen» zu finden.
Laut einer Expertise aus dem Jahr 1914 hatte die Schokolade von Rodolphe Lindt einen Weltruf.
Die Schmelzschokolade war 20 Jahre lang eine exklusive Spezialität aus Bern. Sie genoss sogar Weltruhm, wie die Gegner neidlos anerkennen mussten (Berufung 1927, Klägerin, S. 4). Wurde dieses süsse Kulturgut zu Recht vom Sockel gestossen? Diese Gegendarstellung soll Licht ins Dunkle bringen.
Made on
Tilda